Valery Koshlyakov, Moskau

PackBandGlasPalast

13. September 2002 - 13. Oktober 2002

Eröffnung/Opening:
Freitag, 13. September 2002, 18.30 Uhr


 

Aedes Kooperationspartner

 

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Valery Koshlyakov, Moskau

Von der Schönheit in Ruinen zum Pack-and-pop
Gefragt nach dem Russischen in seiner Kunst, wird der Moskauer Künstler Valery Koshlyakov ausweichend antworten. Er versteht sich nicht als Reporter der postsowjetischen Andersartigkeit, etwa die Tradition der Soz Art fortschreibend, einem westlichen Erwartungshorizont gehorchend. Er versteht sich genau so wenig als Vertreter einer Nationalkunst, ein Kunstverständnis, das im traditionsbewussten offiziellen russischen Kulturleben noch ganz selbstverständlich ist. Dass Koshlyakov mit Werken als einer der wenigen jungen Nonkonformisten jüngst aufgenommen wurde in die Schausammlung der Moskauer Tretjakov-Galerie, dem wichtigsten Museum für russische Kunst im Lande, und nun auch im Petersburger Russischen Museum vertreten ist, ändert nichts an seiner Überzeugung, dass Kunst keine nationale Angelegenheit ist. Nicht, dass für einen Wanderer zwischen den Welten wie ihn die Frage nach der nationalen Identität ganz einfach auszuklammern wäre. (...) Als ein "Kind der Perestrojka" war er noch während seiner Ausbildungszeit in Rostov am Don Mitbegründer der skandalträchtigen Künstlergruppe "Kunst oder Tod". Deren Aktionen blieben nicht immer folgenlos, wie die unangemeldete Gruppenausstellung im "Rosa und Himmelblauen Salon", nämlich in der öffentlichen Frauen- und Männertoilette, die nach einer Stunde polizeilich geschlossen wurde. Die unbotmäßigen Jungkünstler strebten aus der provinziellen Enge ins Zentrum des Landes. 1989 wechselte Koshlyakov von Rostov in die Moskauer Underground-Szene, ebenso wie früher oder später die meisten seiner Rostover Weggefährten. Hier fand er sein neues Generalthema, das jedenfalls für die nächsten Jahre zu seinem Markenzeichen werden sollte. Von jetzt an wurde das Pantheon des Weltkulturerbes zum Motivvorrat seines künstlerischen Schaffens. Damit verhielt er sich ganz konträr zu seinem Moskauer Umfeld und den Fragestellungen, die dort aktuell waren. Die versammelte europäische Kunstgeschichte in Skulptur und Architektur verwandelte sich in den Bildern des "russischen Piranesi" in monumentale Figurenstudien und Architektur-Veduten. (...) In jüngster Zeit experimentiert Koshlyakov mit einem neuen antiästhetischen Material, dessen Entdeckung er seiner Karton-Vorliebe verdankt: Packband. In den ersten Arbeiten benutzte er nur das undefinierbar bräunliche Klebeband, das in zwei Farbnuancen und in mehreren Schichten verarbeitet wurde. Zumeist wurden die Motive direkt auf die Wand appliziert, so dass das Kunstwerk nur noch in situ möglich ist, als Objekt damit nicht mehr verfügbar. Mit diesem Verfahren gestaltete er zuerst die Ausstellung "Unter Dach" in der Moskauer Manege im Mai 1999. In einer zweiten Phase verwendet er neuerdings grellbuntes Klebeband. Mit der ganz beschränkten, standardisierten Palette an plakativen Hochglanz-Farbwerten in standardisierten Breiten schafft er Bilder, deren Motive nun nicht mehr beim "Kulturerbe" entliehen sind. Es sind nun meist Ikonen des Alltags, die zum Vorwurf werden, wie etwa der Tigerteppich in der Installation "Wohnhäuschen" in der Galerie Guelman im Jahr 2000, oder die quasisowjetischen Motive Junger Weizen bei Sonnenaufgang oder Ehrenwache Nr. 1 aus der Ausstellung "Der sechste Teil der Welt" des selben Jahres in der Galerie Bischoff. Die Bilder, teils auf farbiger Plastikfolie über Keilrahmen, überraschen von Ferne durch ihren Realismus, während sich von Nahem die irritierende Assoziation mit dem breiten, pastosen Pinselstrich expressiver Malerei kaum zurückdrängen lässt. Wie schon in der ersten großen Werkgruppe zum Weltkulturerbe, so fesselt den Betrachter auch in den Packband- Arbeiten die Reibung zwischen konkret Sichtbarem und der entstehenden Illusion, zwischen denen die Wahrnehmung hin- und herwandert. Hier wie da ist das Koshlyakovsche Thema zu finden: Eine Vision von Vollkommenem ist dort möglich, wo in der träumerischen Leichtigkeit der Illusion auch ihr Kontrast oder Konflikt mit den Wirklichkeiten sichtbar und poetisch eingeschrieben ist.
Barbara Wittwer